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Falscher Prophet

Statistisch gesehen liegen die Aussagen eines Mike Shivas näher bei der Wahrheit als die medialen Nebelgranaten, die dem Munde des Dampfplauderis Claude Longchamp an einem Abstimmungssonntag entweichen. Der Mann mit der «Leckmich- am- Arsch»-Kravatte ist den Deutschschweizer Fernsehzuschauern als Politologe mit dem sicheren Instinkt für falsche Aussagen und noch falschere Prognosen bestens bekannt. Als Leiter und bald einmal neuer Verwaltungsratspräsident seines eigenen Forschungsinstituts gfs. bern hat er die unbestrittene Fähigkeit, sich selbst und seinen Laden gut zu verkaufen. Es wäre höchste Zeit, dass sich eine Institution wie das Schweizer Fernsehen einmal überlegt, wie lange sie so viel versprühten Unsinn noch bezahlen will. Seit zehn Jahren wuschelt Claude Longchamp, der Mann mit der Lizenz für Fehlbarkeit, über die Mattscheiben. Als gelernter Historiker kennt er das Schicksal des Orakels von Delphi, das seit dem 8. Jahrhundert vor Christi Geburt bis zum Sieg der Griechen über die Perser von grosser politischer Bedeutung war. 1000 Jahre beeinflusste es die Geschichte, bis es verboten wurde. Der römische Kaiser Theodosius erhob das Christentum zur Staatsreligion und Voraussagen galten als heidnischer Brauch. Es wäre demnach ein christliches Gebot, würde Longchamp endlich sich selbst verbieten. Nichts wird so oft vorausgesagt wie der Weltuntergang. Martin Luther datierte ihn gleich drei Mal, für die Jahre 1532, 1538 und 1541. Dumm nur, dass sich die Welt ihrem eigenen Untergang verweigerte. Dumm auch, dass sich das Stimmvolk auch den Prognosen und den Hochrechnungen des Fernsehens verweigert. Es gibt ja die Gemeinplätze wie jene des Physikers Niels Bohr: «Vorhersagen sind immer schwierig, vor allem über die Zukunft.» Wäre also besser, man würde den Schwierigkeiten ausweichen und nur Statistiken bringen, die man auch selbst gefälscht hat. Noch haben wir keine endgültige Prognose über das weitere Schicksal des Fernsehprognostikers gestellt. Dante Alighieri weist in seinem Inferno den Weg. Er schickt die Wahrsager geradewegs in die Hölle, wo sie sich fortan mit nach rückwärts gewandtem Gesicht fortzubewegen hatten. Wie weit darf einer ständig danebenliegen, bis auch das Fernsehen merkt, was hier dem Zuschauer zugemutet wird? Longchamp begann schon 1999 mit seiner Zahlenakrobatik, als er der SVP einen Wähleranteil von 20 Prozent prognostizierte, sie erreichte dann 22,5 Prozent, vier Jahre später sah er die Partei bei 25,3 Prozent, sie erreichte 26,7 Prozent. Und jetzt die Abstimmung zur Personenfreizügigkeit – noch im Januar schloss er ein Nein zu dieser Vorlage nicht aus, die dann mit 59,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde. Das ist halt so wie bei der Wetterprognose. Auch diese stimmt immer, nur das Wetter ist falsch. Aber ein echter Experte ist schliesslich einer, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat. Im Falle der letzten Abstimmung wäre ein absolut präzises Abstimmungsergebnis bereits um 12 Uhr möglich gewesen, eine Stunde, bevor die desaströsen Kaffeesatzergebnisse noch von einem knappen Ausgang sprachen. Auch Claude Longchamp hätte wissen können, dass europapolitische Vorlagen in vier Kantonen dem schweizerischen Gesamtergebnis jeweils am nächsten kommen. Etwa jenes aus dem Kanton Graubünden. Er hätte nur das E-Mail der Standeskanzlei lesen müssen, die schon um 11.45 Uhr nach Auszählung von 160 Gemeinden das Zwischenergebnis den Medien übermittelte: 58 Prozent hatten bereits Ja gesagt, am Schluss waren es in Graubünden 59,35 Prozent. Und das entspricht haargenau dem Schweizer Schlussresultat. Ein einfaches E-Mail war besser als jede Hochrechnung. Und erst noch kostenlos.

Stefan Bühler

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