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Fehlende Worte

Es heisst zwar umgangssprachlich «Mir fehlen die Worte», dabei finden wir nur die richtigen Wörter nicht. Worte bestehen aus Gedanken. Folglich ist man gedankenlos, wenn sie fehlen. Wörter bestehen aus Buchstaben und niemand sagt «Mir fehlen die Wörter». Das hat meist mit der kleinen Vergesslichkeit zwischendurch zu tun. Gehört zur Kategorie Alzheimer light («Immer, wenn er das Haus verlässt, vergisst er, dass er verheiratet ist»). Wenn aber wirklich die Wörter fehlen, hat das mit unserer Sprache zu tun, die sich rasch wandelt und ausdehnt. Auf jedes sterbende Wort gibt es schon wieder fünf neue. Allerdings zeichnen sich nicht alle durch Nachhaltigkeit aus. Wer heute vom Eierkocher schwärmt und dabei den Whirlpool meint, gibt zu, dass er bereits eine Generation nachhinkt. «Gammelfleischparty» wurde eben erst zum Jugendwort des Jahres 2008 ernannt. Wie harmlos klang das noch, als man von der Ü30-Party sprach. Dagegen stehen die U16 unter gewaltigem Druck, sie sind dringend auf neue Sprachschöpfungen angewiesen. Immerhin retten sie damit ungewollt einige historischen Begriffe vor dem Untergang, wie etwa den D-Day. Sie wissen zwar nicht, was der bedeutet, ahnen aber immerhin, dass es sich um das Premierendatum des Films «Der Soldat James Ryan» handeln muss. Anstelle des D-Day ist der B-Day getreten, die Abkürzung für Birthday, und dann natürlich der H-Day für den Hochzeitstag. Vorausgesetzt, dieser wird nicht vergessen. Wenn doch, lässt sich das meist kitten mit einem Heuchlerbesen vom Floristen. Wer die Einsamkeit fürchtet, sollte eben nicht heiraten. Tut er es trotzdem, nie den H-Day verpassen! Die Sprache entwickelt sich derart rasant, dass man die Menschheit schon nach drei linguistischen Generationen unterscheidet: 1. Wer nicht weiss, was ein USB-Stick ist, soll ruhig im Rentner-Bravo danach suchen, denn auch die Zeitschrift «Leben und Glauben» schreibt über Computer. 2. Wer weiss, was ein USB-Stick ist, soll sich darauf ja nichts einbilden, er gehört ins Mittelalter. 3. Auf dem sprachlichen Höhepunkt sind nur jene, die ein Datenzäpfchen auf sich tragen und schon nicht mehr wissen, dass man dies einst USB-Stick nannte. Die Bildschirmbräune der jugendlichen PC-Freaks umschreibt am besten die Bleichgesichter, die nie die Sonne sahen und dann die Nordic Walker für Stockenten halten. Sie prägen die heutige Sprachlosigkeit mit Begriffen, die sie nach ein paar Wochen selbst nicht mehr verstehen. Rein wissenschaftlich gesehen haben es Frauen einfacher, den sich ausdehnenden Wortschatz aufzunehmen. Soziologen haben nämlich herausgefunden, dass Frauen eine tägliche Wort-Emission von rund 23 000 Wörtern haben, Männer bringen es gerade einmal auf 12 000. Die Frau wird von der Natur rechtzeitig auf ihren doppelten Tageseinsatz vorbereitet. Studien haben ergeben, dass weibliche Embryos bereits im Mutterleib ihre Kiefer um 30 Prozent häufiger bewegen als männliche. So verwundert es niemanden, dass es den Begriff Quasselstrippe nur in der weiblichen Form gibt. Und wenn wir uns in anderen Sprachkulturen umschauen, entdecken wir noch mehr Erstaunliches. Dass die Mosuo in China kein Wort für «Diebstahl» haben und die Eskimos keines für «Mord», ehrt diese Völker. Bei den Khasi in Nordindien fehlen die Worte für «Prostitution» und «Vergewaltigung » völlig, und die Tasaday auf den Philippinen haben keine Ausdrücke für «Krieg» und «Konkurrenz». Schlimm ergeht es den Dagari in Afrika, die haben kein Wort für «Sex» und keines für «Zeit». Zu vermuten bleibt, dass sie sich diese trotzdem nehmen. Wem die Worte dann immer noch fehlen, hält sich an William Shakespeares Hamlet: «Der Rest ist Schweigen.»

Stefan Bühler

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