Festansprache
Es ist schon schwer genug, einen Redner für den Nationalfeiertag
am 1. August zu finden, noch viel anstrengender ist es dann für das
Opfer, eine angemessene Ansprache zu brünzeln. Das Grundprinzip einer
guten Ansprache besteht darin, dass sich der Referent vor derselbigen
mehr abmüht als der Zuhörer während. Die Herausforderung
besteht selten darin, Inhalte zu finden. Eine Ansprache unter freiem Himmel
und zwischen krachenden Frauenfürzen kann nur bestehen, wer für
alle etwas bereithält. Vornehmlich für die Touristen aus dem
Ausland, da die meisten Einheimischen bereits dort verweilen. Die erste
und wichtigste Regel ganz zuerst: Der Festredner darf über alles
reden, nur nicht über 10 Minuten.
Es sei deshalb der Versuch gewagt, die Zutaten für eine solche Kurzrede
bereitzustellen, die dann nur mehr in der richtigen Reihenfolge, den richtigen
Akzenten und der richtigen Tonlage zusammengestellt werden muss. Als Vorbild
sei jener Bündner Grossrat erwähnt, der in seinem Amtsjahr als
Standespräsident die gleiche Ansprache 94 Mal gehalten hat, ohne
daran etwas zu ändern. Nur die Einleitung und die Reihenfolge der
Sätze wurden manchmal gewechselt, oft auch verwechselt.
Beginnen wir mit dem Schweizerkreuz, das die vereinigte Fussballgemeinde
den Rechtsdeppen vom Rütli in diesem Jahr wieder abgenommen hat.
Da man heute davon ausgeht, dass dieses Kreuz nicht aus dem Wappen der
Schwyzer entstand, sondern auf die Berner zurückgeht, die sich im
Zeichen des Mauritius- Kultes des wichtigsten Emblems christlicher Heere
und Ritterorden bediente, lässt sich daraus folgerichtig ableiten:
Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz. Die Berner verloren unter dem weissen
Kreuz die Schlacht von Laupen 1339 gegen Graf Peter von Savoyen. Das wiegt
mindestens so schwer wie die Niederlage des FC Schweiz gegen die Ukraine
beim WM-Achtelfinalspiel, wo selbst 40 000 Schweizerkreuze im Kölner
Stadion nichts nützten und 3.2 Millionen Franken Prämie entschwanden.
Trotzdem sollte keine Festansprache auf das weisse Kreuz im roten Feld
verzichten. 1899 definierte der Bundesrat das seit 1815 gültige Wappen
wie folgt: «Die vier Arme des aufrechten Kreuzes müssen um
einen Sechstel länger als breit sein.» Um diese Definition
auch zu verstehen, nehme man einen richtigen Lampion zur Hand.
An die Ausländer gerichtet kann der Referent damit glänzen,
dass es weltweit 191 Schweizen gibt. Die Schweiz ist also alles andere
als einmalig, es gibt sie von der Sächsischen Schweiz bis zur Mährischen
Schweiz, von der kleinen Schweiz im Carmel-Nationalpark bei Haifa bis
zur namibischen Schweiz. Letztere ist nur ein steiniger Hügel in
Namibia, um keine Verwechslung mit lebenden Schweizern aufkommen zu lassen.
Natürlich ist die Schweiz das Paradies, das gleich nach dem Sündenfall
kommt. Ephraim Kishon mit Wohnsitz im Appenzell wusste, wovon er sprach:
«Wohin man blickt, herrscht Ruhe, Ordnung, Disziplin, Hygiene, Fleiss
und Moral. Ist das nicht furchtbar?»
Und letztlich sind ein paar Worte zur Staatsform in jeder Rede angemessen.
«Die Schweiz als Musterstaat der bürgerlichen Republik»
– Karl Marx jedenfalls war dieser Meinung. Oder doch eher eine Demokratie?
In der Schule jedenfalls lernten wir früh, dass jeder Schweizer Bundesrat
werden kann. Heute glauben wir das auch... Offensichtlich hat jemand dem
Zürcher Werber Rudolf Farner die schon lange geforderte Million gegeben.
Das wäre dann die Erklärung dafür, dass er es tatsächlich
geschafft hat, aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat zu machen.
Ob Vaterland, Mutterland oder Heidiland. Bei Gottfried Keller herrschte
noch Klarheit: «Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe.»
Also doch sächlich?
Mitnichten. «Die Schweiz wird in der Geschichte das letzte Wort
haben», sagte Victor Hugo. Damit könnte er Recht behalten,
weiblich ist sie ja.