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Alltägliches Grauen

Das Leben ist schon ein Graus. Es gibt leider kein Rezept, wie man dem alltäglichen Grauen entfliehen könnte. Als Gefangene einer absurden Wohlstandsgesellschaft müssen wir täglich die Erfahrung machen, dass so wohl keinem dabei ist. Das Grauen des Alltags beginnt beim Telefonieren. Als der Münchner Komiker Karl Valentin seinen Buchbinder Wanninger in eine telefonische Warteschleife laufen liess, sprach man nicht mehr davon, von «Pontius zu Pilatus» geschickt zu werden, das geflügelte Wort hiess damals «Sich wie Buchbinder Wanninger vorkommen». César Keiser hat sich ebenfalls durch alle Dienststellen gequält. Immerhin kam er dabei noch zu Wort mit seinem «Do isch de Kunz vo Bünze bi Boswil». Bei Valentin und Keiser war das noch zum Schenkelklopfen, heute vergeht einem das Lachen bereits in einer der endlosen Warteschlangen, bei der uns ein modernes Raubrittertum zu zahlenden Sklaven der Telefongesellschaften verdammt. Chur ist nicht nur die älteste Stadt der Schweiz, als Kunde am Telefon sieht man auch so aus. Uralt nämlich. Ein direkter Anruf bei der Credit Suisse, bei der Swisscom, bei der Cablecom, bei der CSS oder nur bei der Post an der Ringstrasse ist schlichtweg unmöglich, in all diesen Fällen landet man in irgend einem Callcenter an einem unbekannten Ort, wo niemand von nichts auch nur eine Ahnung hat. Da ist es kein Trost, wenn der Anruf auf eine Gratisnummer erfolgt. Das Warten ist nämlich mehr als gratis, es ist sogar vergebens. Kundenfreundlich klingt heute wie behindertenfreundlich, genau so zynisch ist es auch gemeint. Wie uns das Grauen des Alltags im Griff hat, kann in einem Buch von Robert Griesbeck nachgelesen werden. In einem Glossar erfahren wir, dass es stimmt, was schon Ingeborg Bachmann festgestellt hat: Jede Jugend ist die dümmste. Unterwegs mit Sixpack unter dem Arm und über dem Bauchnabel foutieren sie sich um jedwelche körperliche Ästhetik. Der Stöpsel im Ohr verhindert, dass auch noch so aufbauende Kritik bis ins Kleinhirn vordringt. Im besten Fall wird das Format MP3 angenommen, sicher kein analoger Seufzer aus dem Munde eines Erwachsenen. Aber wer kümmert sich denn schon um die Nöte unserer Kinder, einmal abgesehen von den einschlägigen Fernsehsendungen für Lebenshilfe («Ich bin 12 Jahre alt und immer noch Jungfrau, was mache ich falsch?»). Die demografische Entwicklung bringt immer mehr Alte hervor und immer weniger Erwachsene. Das schleckt auch kein Schönheitschirurg weg, der früher ein einfaches Fettabsaugen anbot und heute das ganze Körper- Update im Angebot führt. Die Schönheit nimmt rasant zu, das ist die gute Nachricht – man merkt nur nichts davon, das ist die schlechte. Das Glossar klärt uns denn auch über die neusten Trends auf, wie sich die Frauen zum Affen machen. Etwa dann, wenn sie sich freiwillig mit Botox vergiften. Was hinten das Arschgeweih, ist vorne der Lippenspoiler. Für alle Leser, die mit dem Begriff intellektuell überfordert sind: Ein Arschgeweih ist eine Tätowierung über dem Steissbein, ausschliesslich bei Frauen zu finden. Während das Unterspritzen der Lippen zu einer prallen Schwellung führt, quasi zur oralen Dauererektion. Sie wissen zwar nicht, wohin das führt, aber sie werden als erste da sein. Die Light-Welle ist der Trend in diesem Jahrhundert, womöglich eine Alternative im Angesicht des Grauens. Die Polizei schiesst mit der Pistole light, die sich Taser nennt, und bald gibt es Assugrin light mit weniger als null Kalorien. Light-Zigaretten werden wenigstens vom Gewissen als solche empfunden und der Applaus der Leber ist dem Light-Bier gewiss. Das Grauen ist alltäglich, verdrängen könnten wir es nur mit einer Art Life light oder Alzheimer light nach dem Motto aus der Fledermaus von Johann Strauss: «Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.»

Stefan Bühler

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